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Begriff Affective Publics

Affective Publics

  • Version 1.0
  • Veröffentlicht 4. November 2022

Das Konzept affective publics verweist darauf, dass Affekte und Affektivität konstitutiv für das Entstehen von Öffentlichkeiten sind. In besonderer Weise wird dies in vernetzten Öffentlichkeiten sichtbar, die durch vielgestaltig erzeugtes wie zirkulierendes Affektgeschehen insbesondere auf Social-Media-Plattformen entstehen. Affective publics sind gekennzeichnet durch ihren relationalen, prozessualen und performativen Charakter. Anknüpfend an das Konzept der affektiven Relationalität entstehen Öffentlichkeiten dynamisch in Interaktion zwischen physisch kopräsenten Teilnehmer:innen oder mediatisiert zwischen Nutzer:innen sowie der Medientechnologie, die die gemeinsame Verbindung erlaubt. Dabei sind digital vernetzt entstehende Öffentlichkeiten durch hohe temporale und affektive Dynamiken gekennzeichnet. Ihr plötzliche Entstehen und ihre oftmals zeitlich begrenzte Existenz verweist auf ihren fluiden und fragilen Charakter. Wo weniger langlebige, stabile Institutionen erforderlich sind, sondern temporäre Formen der Vergemeinschaftung mittels digitaler Medien Solidaritäts-, Empathie- oder Empörungskommunikation ermöglichen, werden Formen von Öffentlichkeit performativ hervorgebracht. Eine zentrale Rolle übernehmen dabei die technischen Affordanzen der jeweiligen Plattformen. Sie präfigurieren die Formen, Intensitäten und Dynamiken von affective publics in hybriden Mediensystemen. So können beispielsweise durch die Verwendung spezifischer Hashtags Affekte und Emotionen zirkulieren, die mit einem bestimmten Thema oder Ereignis verbunden werden. Nutzer:innen-Reaktionen werden prä-figuriert durch Optionen wie Likes oder Emojis; Möglichkeiten zum Teilen oder Kommentieren erzeugen vielfältig affizierende Feedback-Schleifen. Sie tragen so dazu bei, dass Nutzer:innen sich wechselseitig affizieren, miteinander in kommunikativen Austausch treten und als Teil-Öffentlichkeit um stets auch emotional grundierte Deutungen aktueller Ereignisse ringen.

Im Unterschied zu deliberativ-rationalen Öffentlichkeitstheorien – unter ihnen besonders prominent jene von Jürgen Habermas – hebt das Konzept affective publics hervor, dass Emotionen und Affekte konstitutiver Teil jeglicher öffentlicher Aushandlungsprozesse sind. Die dichotome Unterscheidung von öffentlicher und privater Sphäre, die traditionellen europäischen Öffentlichkeitsmodellen zugrunde liegt, wird in der Theoretisierung von affective publics am SFB auch aus feministischer und postkolonialer Perspektive kritisch befragt. So erscheinen beide Sphären vielfach enger miteinander verwoben als bisher beschrieben. Dies wird beispielsweise anhand der politischen Thematisierung von bislang für privat gehaltenen Emotionen und deren Bedeutung für Fragen von gesellschaftlicher Relevanz deutlich.

Ein Beispiel für affective publics ist die #MeToo-Bewegung: Unter dem Hashtag #MeToo konnten sich Betroffene von sexualisierter Gewalt auf diversen Plattformen und in On- wie Offlineforen miteinander verbinden und Emotionen wie Solidarität, Wut und Scham öffentlich teilen. Aufgrund der Reichweite des Hashtags wurden auch nicht-betroffene Nutzer:innen Teil dieser affective publics, indem sie sich ebenfalls affektiv bezüglich der zirkulierenden Berichte und der damit verbundenen Emotionen, z.B. durch ablehnende oder empathische Reaktionen positionierten. Aufgrund dieser massiven Resonanz online avancierte #MeToo zu einem medial wie politisch stark wahrgenommen Phänomen und bewirkte so gesellschaftliche Veränderungen im Umgang mit sexualisierter Gewalt auf institutioneller wie gesetzlicher Ebene.

Publikationen aus dem SFB Affective Societies

  • Lünenborg, M. (2019). Affective Publics. In: J. Slaby und C. von Scheve (Hg.), Affective Societies: Key Concepts (319-329). London: Routledge.
  • Lünenborg, M., & Raetzsch, C. (2018). From public sphere to performative publics: Developing media practice as an analytic model. In: S. Foellmer, M. Lünenborg, & C. Raetzsch (Eds.), Media practices, social movements, and performativity: Transdisciplinary approaches (pp. 13–35). Abingdon: Routledge.
  • Slaby, J., & Röttger-Rössler, B. (2018). Introduction: Affect in relation. In: J. Slaby & B. Röttger-Rössler (Eds.), Affect in relation: Families, places, technologies (pp. 1–26). New York: Routledge.

Sonstige Quellen

boyd, d. m. (2011). Social network sites as networked publics: Affordances, dynamics, and implications. In: Z. Papacharissi (Ed.), A networked self: Identity, community and culture on social network sites (pp. 39–58). New York: Routledge.

Chadwick, A. (2013). The hybrid media system: Politics and power. Oxford & New York: Oxford University Press.

Papacharissi, Z. (2015). Affective publics: Sentiment, technology, and politics. New York: Oxford University Press.

Peters, C. (2011). Emotion aside or emotional side? Crafting an “experience of involvement” in the news. Journalism: Theory, Practice & Criticism, 12(3), 297–316.

van Dijck, J., & Poell, T. (2015). Social media and the transformation of public space. Social Media + Society, 1, 1–5.

Zitierweise

SFB 1171: „Affective Publics“. In: Affective Societies: Key Concepts Online. Published by SFB 1171 Berlin, 4. November 2022.