Pathosformel ist ein Begriff aus dem Denken des deutschen Kunsthistorikers und Kulturwissenschaftlers Aby Warburg (1866-1929) zur Bezeichnung einer prägnanten Ausdrucksgebärde, der interdisziplinär breit rezipiert wurde. Der Begriff hat seinen doppelten Ursprung in Darwins Ansicht zur Kontinuität des Ausdrucks bei Menschen und Tieren sowie in Nietzsches Theorie des Streits zwischen Dionysischem und Apollinischem. Pathosformel ist bei Warburg eng an körperliche Ur-Affekte wie Rausch, Ekstase, Schmerz und dergleichen orientiert und erscheint als deren Superlative (höchste Erregung, tiefste Versenkung). Erst in der Rezeption erfährt er eine strukturelle Ausweitung auf alle Affektgeschehen. Warburg sah diese Affekte in kunsthistorischen Gegenständen formalisiert. Diese Formalisierungen können einen Bewegungsvorgang als „Dynamogramm“ stillstellen und so verfüg- und übertragbar machen. Dabei ist dem Warburg’schen Formelbegriff aber nichtdie Starrheit mathematischer Formeln eingeschrieben, sondern er ist seinerseits Ausdruck der wandelnden Interferenz zwischen der gespeicherten (formalisierten) affektiven Energie und den Formen kultureller Verbreitung. So können Pathosformeln nicht nur eine lange Überlieferungsgeschichte aufweisen, sondern diese auch dynamisch prägen.
Genau dieser dynamische Formalisierungsgedanke macht die Rede von den Pathosformeln für den SFB interessant: Als Formalisierung erlauben Pathosformeln den Emotionsrepertoire, unabhängig von ihren Trägern zu zirkulieren. Dabei wird ein individuelles Ereignis zu einer Formel, die kopiert und beliebig wiederholt werden kann. Dies knüpft an einen weiteren Warburg’schen Begriff an, den er von dem britischen Anthropologen Edward B. Tylor übernommen hatte, nämlich der Begriff des „Nachlebens“ (der Antike) in Bildern und Motiven. Warburgs Theorie hat ihr spekulativstes Moment in der Idee einer energetischen Inversion, mittels derer die Pathosformeln ihre Betrachter:innen zum Reenactment animieren können (Performanz, Performativität). Es sind nicht allein die Betrachtenden, die sich die Bilder einverleiben; die Bilder selbst kommen ihnen aktiv und aktivierend entgegen. Dieser immer dunkel gebliebene Teil der Warburg’schen Theorie hat im Zuge der Begriffsarbeit des SFB neue Validität erlangt. Im SFB wurde die Pathosformel als Intensivierungsmodus für die Darstellung affektiven Geschehens neu ausgedeutet. Auf dieser Grundlage konnte gezeigt werden, wie affektive Intensität als formale Qualität analysierbar wird. Affektivität kann in Objekten und Bildern formalisiert, gespeichert und über Raum und Zeit hinweg übertragen werden. Dadurch ermöglicht das Konzept der Pathosformel die Erfassung der historischen Trajektorien affektiver Dynamiken.