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Begriff Emotionsrepertoire

Emotionsrepertoire

  • Version 1.0
  • Veröffentlicht 4. November 2022

In begriffsbildender Absicht überträgt der SFB den Repertoire-Begriff der performativen Künste auf das Feld der Emotionen. Gemäß der Wortbedeutung von Repertoire (lat. repertorium, „Fundstätte“) bezieht sich Emotionsrepertoire auf ein Set von emotionalen Modalitäten und Ausdrucksformen sowie auf die entsprechende Fähigkeit zu deren Aufführung. Es bestehen Parallelen zum soziolinguistischen Terminus eines Sprachrepertoires,mit dem das SFB-Konzept insbesondere die Verwiesenheit auf eine jeweilige repertoire community teilt. Mit dem Bezug zum Theater werden Emotionen als Inszenierungen emotionaler Sinngehalte in unterschiedlichen sozialen Räumen und Medien beschreibbar. Das orientiert die Erfahrungsdimension von Emotionen auf ihre Performanz und Medialität. Emotionsrepertoires können sich über Medialisierung unabhängig von Akteuren verbreiten, verändern und in andere Gefühlsordnungen vordringen.

Der Begriff des Emotionsrepertoires ist bewusst weit gefasst und macht unterschiedliche Forschungsanliegen adressierbar: Er lässt sich sowohl auf individuelle Akteur:innen und deren emotionale Kompetenzen und Erfahrungen als auch auf der Ebene von Kollektiven sowie ,auf der Ebene von Institutionen und sozio-kulturellen Feldern anwenden. Der SFB spielt diese Ebenen nichtgegeneinander aus, sondern analysiert die Varianten ihres Aufeinandertreffens und ihrer wechselseitigen Einflussnahme. Der Repertoirebegriff bezieht sich nicht nur auf diskrete Emotionen und Emotionsbegriffe in ihrem koordinierten Zusammenwirken, sondern auch auf verbale und nonverbale Ausdrucksregeln und Ausdrucksformen, auf die emotionalen Praktiken, in denen diese Regeln ausagiert werden, sowie auf Modi des körperlichen Erlebens und auf längerfristige Habitualisierungen und Subjektivierungseffekte.

In der Forschung des SFB taucht der Begriff einerseits in der Untersuchung von Sozialisationsprozessen und Prozessen der Gefühlsbildung auf. Dabei steht die Entwicklung der Fähigkeit im Zentrum, emotionale Erfahrungsgehalte auszuagieren, zu variieren und zu erweitern. Andererseits befassen sich Projekte des SFB mit der Medialität und Zirkulation von Emotionsrepertoires, die in Bezug auf ihre formale und symbolische Dimension und deren Ausgestaltung, etwa durch ästhetische Verfahren oder die Praktiken und Verbreitungsformen sozialer Medien, untersucht werden. Darüber hinaus ist die gezielte ‚Fabrikation‘ von Emotionsrepertoires in bestimmten gesellschaftlichen Diskurs- und Praxisfeldern ein wichtiger Forschungsgegenstand.

Es macht den Reiz dieses Begriffs aus, dass in ihm vermeintlich gegenläufige Tendenzen – leibliche Verankerung versus mediale Zirkulationsfähigkeit – in Form einer produktiven Spannung weitere Begriffsbildungen und neue Forschungsfragen anstoßen. In der zweiten Laufzeit wurden in diesem Rahmen die Herausbildung und Transformation institutioneller Emotionsrepertoires, beispielsweise in Segmenten der Öffentlichkeit (Journalismus, Politik, Unterhaltung), in behördlichen Bürokratien (Migrationsverwaltung), in Kunstinstitutionen (Theater, Museum, Literaturbetrieb) sowie in Einrichtungen des Bildungs- und des Gesundheitswesens untersucht.

Publikationen aus dem SFB Affective Societies

  • Röttger-Rössler, B., Scheidecker, G., Funk, L., & Holodynski, M. (2015). Learning (by) feeling: A cross-cultural comparison of the socialization and development of emotions. Ethos, 43(2), 187–220.
  • Slaby, J., Mühlhoff, R., & Wüschner, P. (2016). Affektive Relationalität: Umrisse eines philosophischen Forschungsprogramms. In: U. Eberlein (Ed.), Zwischenleiblichkeit und bewegtes Verstehen: Intercorporeity, movement and tacit knowledge (pp. 69–108). Bielefeld: transcript.
  • von Poser, A., Lanca, J.-C., & Heyken, E. (2017). “Endlich darüber reden können”: Psychiatrie als affektiver Artikulationsraum und die Formierung transkultureller Emotionsrepertoires im Migrationsprozess. In: B. Kocatürk-Schuster, A. Kolb, T. Long, G. Schultze, & S. Wölck (Eds.), UnSichtbar: Vietnamesisch-Deutsche Wirklichkeiten (pp. 256–273). Berlin: edition DOMiD.
  • Von Poser, A., Heyken, E., Ta, T.M.T, und Hahn, E. (2019). Emotion Repertoires. In: J. Slaby und C. von Scheve (Hg.), Affective Societies: Key Concepts (241-251). London: Routledge.
  • von Poser, A. (2018). Affective Lives im Vietnamesischen Berlin: Eine emotionsanthropologische Perspektive auf Zugehörigkeiten, Alter(n) und (Im-)Mobilität. Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für historische Sozialwissenschaft, 44(2), 285–311.

Sonstige Quellen

Coe, C. (2013). The scattered family: Parenting, African families, and global inequality. Chicago: University of Chicago Press.

Lowe, E. D. (2018). “Whatever I have to do that’s right”: Culture and the precariousness of personhood in a poor urban neighborhood. Ethos, 46(3), 311–329.

Swidler, A. (2001). Talk of love: How culture matters. Chicago & London: Chicago University Press.

Zitierweise

SFB 1171: „Emotionsrepertoire“. In: Affective Societies: Key Concepts Online. Published by SFB 1171 Berlin, 4. November 2022.