Im Rahmen der Arbeit am SFB umfasst der Begriff des politischen Affekts sowohl eine allgemein gefasste Theoretisierung des Politischen vor dem Hintergrund affektiver Relationalität (Affekte des Politischen), als auch die Untersuchung konkreter Manifestationen affektiver Politiken in diversen historischen Konstellationen (Affekte in der Politik). Dabei geht es weniger um eine definite Ableitung konkreter Verhältnisse aus abstrakten Bestimmungen des Politischen, als um die Ausarbeitung eines Reflexionsbegriffs, mittels dessen das Politische vor dem Hintergrund einer relationalen Ontologie zum Problem- und Möglichkeitsfeld affekttheoretischer Ansätze wird.
Jenseits einer Engführung des Politischen mit normativen Handlungstheorien selbstbestimmter Subjekte, bestimmt sich sowohl der Rahmen des Politischen, als auch der normative Charakter kollektiver Selbstbestimmung aus der affekttheoretischen Prämisse eines allumfassenden Affizierungsgeschehens, in dem alle Körper, seien sie individuell oder kollektiv, menschlich oder nicht-menschlich, organisch oder anorganisch, eingebunden sind in eine ökosoziale Matrix wechselseitiger Abhängigkeiten. In einem solchen, von Spinoza entscheidend beeinflussten Theorierahmen sind selbstbestimmte Akteure nicht Ausgangspunkt, sondern Resultat politischer Aktivität. Folglich stellt die Entwicklung und Entfaltung von Subjekten und deren Potenzialen eine zentrale Legitimationsgrundlage für politische Institutionen dar. Da die Steigerung individueller Freiheit und Handlungsmacht nur in einem kollektiv gestalteten Milieu affektiver Relationen realisiert werden kann, ist politische Freiheit weniger im bürgerlichen Individuum zu verorten, als in einer kollektiv ermöglichten Erweiterung des Selbst. Im Einklang mit diesem spinozistischen Freiheitsverständnis, das vor allem in der feministischen Spinoza-Forschung ausgearbeitet wurde, richtet sich der in diesem Kontext zentrale Begriff der Multitude gegen jede Auffassung von politischer Vereinigung, in der sich die Realisierung kollektiver Freiheit nur als Beschränkung individueller Freiheit vorstellen lässt. Entgegen der Substantivierung politischer Zusammenschlüsse zu singulären politischen Körperschaften, in der Einzelne sich einem größeren Ganzen (dem Volk z.B.) unterordnen und in ihm aufgehen, beschreibt die Multitude die dynamische Verknüpfung individueller Akteure zu einer heterogenen Assoziation, die ihnen unter gewissen Bedingungen erlaubt, gemeinsam zu Handeln (denkbar sind an dieser Stelle sowohl revolutionäre Massen als auch ein reaktionärer Mob, was die Ambivalenz dieses dynamisch-relationalen Politikverständnisses verdeutlicht).
Somit ergibt sich die Ausbildung von Individuen und Kollektiven in der Forschungsarbeit des SFB als ein durch und durch affektives Geschehen. Das Gleiche gilt für die Entwicklung, die Existenzweise und die Transformation operativer politischer Einheiten, von den verschiedenen Regierungsinstitutionen bis hin zum Staat oder Gemeinwesen als Ganzem. In diesem Sinne besteht die „Kunst“ der Politik darin die affektiven Energien, die in einer gegebenen sozialen Formation zirkulieren, vorteilhaft zu arrangieren und nutzbar zu machen und gleichzeitig Mittel zu finden, um die destruktiven Auswirkungen einzudämmen oder produktiv umzuleiten. So lassen sich sowohl die Produktion von Emotionen und Gefühlslagen (Emotion; Sentiment), die Formierung rassifizierter Formen von Zugehörigkeit und Gemeinschaft (rassifizierende Affekte), als auch eine affekttheoretische Dimension von Kontrollgesellschaften (Immersion, immersive Macht) in Hinblick auf politischen Affekt begreifen.
Als analytischer Begriff kann das SFB-Konzept von politischen Affekten dazu beitragen, die vielschichtige Beteiligung von Affekten an Regierungsstrategien und -technologien, als auch den vielfältigen Formen des Widerstandes gegen diese, sichtbar zu machen. Die Kultivierung von Affekten stellt zwar das Vermögen dar, neue Potenziale und Möglichkeiten zu schaffen, die Gestaltung spezifischer affektiver Dynamiken ist gleichzeitig aber auch zentral für eine erfolgreiche Technik des Regierens und der Fügbarmachung. Die Untersuchung von Affekten in den unzähligen Praktiken, die sich in dieser ständigen Dynamik des Regierens und des Widerstands entfalten, ermöglicht eine politische Analyse jenseits reduktionistischer Charakterisierungen, wie z. B. jener, die Politik als ein Spiel des Aushandelns vermeintlich rationaler politischer Interessen mit der gelegentlichen Anwendung physischer Gewalt betrachten. Als analytische Perspektive erlaubt politischer Affekt einen genaueren Blick auf die Feinheiten realpolitischer Interaktionen, die allzu oft aus dem Blickfeld geraten: das Intime, das Alltägliche, das nur Mögliche, aber nicht Realisierte, und auf die Verwobenheit dieser Kategorien mit dem Öffentlichen, dem Außergewöhnlichen und dem Realen. „Politischer Affekt“ folgt der Neugier eines „what matters?“ – kennt die Antwort dazu aber nicht im Voraus.