Emotion
- Version 1.0
- Veröffentlicht 4. November 2022
Der Ausdruck Emotion bezieht sich allgemein auf solche affektiven Vollzüge, die sich aus der Perspektive einer Person oder eines Kollektivs wertend auf Gegenstände, Situationen oder Ereignisse in der Welt beziehen. Üblicherweise werden solche gerichteten affektiven Episoden mit kulturspezifischen Konzepten wie Furcht, Freude, Zorn, Trauer, Stolz, Scham oder Neid belegt und tradiert. Emotionen bilden somit ein diskretes Spektrum von mehr oder weniger weit geteilten Arten affektiver Vollzüge, die sich jeweils durch ihren evaluativen Weltbezug auszeichnen: Trauer bezieht sich auf einen schmerzlichen Verlust, Ärger auf eine vermeidbare Schädigung dessen, was einem lieb und teuer ist, Furcht auf eine akute Gefahr, und so weiter.
Oft wird angenommen, dass Emotionen jeweils auch mit einem charakteristischen Komplex von subjektivem Erleben, physiologischer Erregung, Ausdrucks- sowie Handlungstendenzen einhergehen. Spätestens seit Darwins The Expression of the Emotions in Man and Animals (1872) werden diese Ausdruckskomplexe hinsichtlich ihrer kommunikativen und sozialen Funktionen sowohl in biologischer als auch sozialtheoretischer Perspektive als grundlegende biokulturelle Prozesse von zahlreichen Disziplinen untersucht. Ansätze der Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften haben vor allem die kultur- und epochenspezifische Ausprägung und Varianz von Emotionen thematisiert, insbesondere indem sie die weitreichende Formiertheit von Emotionen durch Diskurse, Praktiken und lokale Lebensformen betonen.
Hieran schließt das Emotionsverständnis des SFB an, das ausgehend vom Ansatz der affektiven Relationalität Emotionen als innerhalb von Kollektiven vorübergehend stabilisierte, diskursiv benannte affektive Vollzüge bestimmt, die oft in spezifischen emotionalen Praktiken ausagiert werden. Emotionen verbinden sich so zu kollektiv geteilten und individuell verfügbaren Emotionsrepertoires. Dieses Verständnis von Emotionen erlaubt es, ihren unterschiedlichen Tradierungen und Ausdrucksformen einen direkten Einfluss auf das emotionale Erleben zuzusprechen und somit nicht nur den historischen Wandel, sondern auch die gezielte ‚Fabrikation‘ von Emotionen bzw. Emotionsrepertoires zu untersuchen. Dieser Ansatz erlaubt zudem, Emotionen auch jenseits und unabhängig von ihren individuellen Trägern zu verstehen, etwa als medial zirkulierende Ausdrucksformen in verschiedenen diskursiven und ästhetischen Registern (z.B. Sprache, Klang, Bild, Film).
Publikationen aus dem SFB Affective Societies
- Stodulka, T. (2017). Towards an integrative anthropology of emotion: A case study from Yogyakarta. In: A. Storch (Ed.), Consensus and dissent: Negotiating emotion in the public space (pp. 9–34). Amsterdam: John Benjamins.
- Von Scheve, C, und Slaby, J. (2019). Emotion, emotion concept. In: J. Slaby und C. von Scheve (Hg.), Affective Societies: Key Concepts (42-51). London: Routledge.
- von Poser, A., Lanca, J.-C., Heyken, E., Nguyen, M. H., Hahn, E., & Ta, T. M. T. (2017). Annäherungen an das Unsagbare – Artikulationen des Affektiven und die Formierung transkultureller Emotionsrepertoires im Vietnamesischen Berlin. Working Paper SFB 1171 Affective Societies 03/17. Retrieved from: http://edocs.fu-berlin.de/docs/receive/FUDOCS_series_000000000562.
Sonstige Quellen
Colombetti, G. (2013). The feeling body: Affective science meets the enactive mind. Cambridge, MA: MIT Press.
Goldie, P. (2002). Emotions, feelings and intentionality. Phenomenology and the Cognitive Sciences, 1(3), 235–254.
Krueger, J., & Szanto, T. (2016). Extended emotions. Philosophy Compass, 11(12), 863–878.
Zitierweise
SFB 1171: „Emotion“. In: Affective Societies: Key Concepts Online. Published by SFB 1171 Berlin, 4. November 2022.