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Begriff Affekt, Affektivität

Affekt, Affektivität

  • Version 1.0
  • Veröffentlicht 4. November 2022

Affektivität ist ein reziprokes Wirkungsgeschehen, das verschiedene Akteure auf vielfältige Weise miteinander in Beziehung setzt. Affekte finden eher zwischen Akteuren statt, als in ihnen. Durch dieses dynamisch-relationale Verständnis unterscheidet sich unser Ansatz von der oft mit Affekten und Emotionen verbundenen Semantik der Innerlichkeit und Zuständlichkeit (vgl. affektive Relationalität). Affekt ist überdies von Emotion zu unterscheiden: Im Vergleich zu einer durch Konzepte, Praktiken und Normen geprägten Emotion ist ein Affekt eine wesentlich unbestimmtere Größe. Affekte bemessen sich in erster Linie an ihrer Intensität, nicht an ihrer Gerichtetheit, Wertung oder Artikulation, bevor sie dann in kulturell bzw. diskursiv etablierte Bahnen gelenkt und – im Rahmen von Praktiken oder Interaktionen – ausagiert werden können. Aus der Blickrichtung der Emotionstheorie mag man Affekte somit als „Rohstoffe“ von Emotionen betrachten, allerdings wäre die Annahme einer autonomen Ebene unstrukturierter Affektivität jenseits von Sprache, Diskurs und kultureller Einbettung eine problematische Verkürzung. Affektivität ist weder unabhängig von Enkulturation und à Emotionsrepertoires, noch geht sie restlos in ihnen auf. Sie zeigt sich oftmals als (mitunter dramatische) gefühlte Differenz zu bereits Bestehendem (vergangene Erfahrungen, Handlungen, Interaktionen, Bedeutungen, Einbettungen). Als diese intensiven Differenzen können Affekte weitere, nun auch sozial bemerkbare Änderungen hervorrufen.

Der SFB schließt mit seiner Begriffsbildung zu Affekt mit eigener Akzentsetzung an eine Traditionslinie der Kontinentalphilosophie an, die sich auf die Philosophie Spinozas und ihre Rezeption durch Gilles Deleuze beruft. Affektivität wird bei Spinoza als ontologisch fundamentales Wirkungsgeschehen zwischen Einzeldingen aufgefasst – wobei ein Einzelding sowohl ein (menschliches) Individuum, ein Kollektiv, oder ein Gegenstand anderer Art sein kann. Affektivität tritt in dynamischen Relationen des Affizierens und Affiziertwerdens auf, in denen das je spezifische Affizierungsvermögen (potentia) der Einzeldinge situativ zum Ausdruck kommt. In den kulturwissenschaftlichen Affect Studies sind daran anschließend verschiedene Ansätze entstanden, die Affekt als dynamisches Geschehen zwischen Körpern, als medial oder technologisch formierte Relationalität, als situiertes Machtgeschehen oder als global zirkulierende Ökonomie affizierender Formen und Symbole verstehen. Der SFB bezieht sich kritisch und konstruktiv auf diese vielfältigen Entwicklungen.

Ein solcher Begriff von Affekt erlaubt einen Zugriff auf affektive Phänomene jenseits der Verankerung im Individuum und vor ihrer Tradierung durch Diskurse oder Normierungen. Diese Ebene stellt aufgrund ihrer dynamischen, relationalen, sich stets verändernden, wechselwirkenden Natur, die sich häufig in den „kleinsten“ sozialen Interaktionen abspielt, eine Herausforderung für die Forschung dar. Der SFB hat deshalb nicht nur neue methodische Instrumente entwickelt und bestehende Methoden der Emotionsforschung geschärft, sondern auch eine Reihe von Begriffen geprägt, die lokale Ausprägungen und Formierungsweisen von Affekt gezielt in ihrer Spezifik adressierbar machen. Hier sind insbesondere die Konzepte affektives Arrangement, affektive Disposition, affektive Resonanz sowie Immersion, immersive Macht zu nennen. In einigen Teilprojekten wird außerdem mit einem Konzept affektiver Praxis an die etablierte Begrifflichkeit der Praxistheorie angeknüpft, so dass sich Affektivität in geeigneten Kontexten mit Blick auf das situierte Handeln von Akteuren untersuchen lässt.

Publikationen aus dem SFB Affective Societies

  • Mühlhoff, R. (2018). Immersive Macht: Affekttheorie nach Foucault und Spinoza. Frankfurt: Campus.
  • Seyfert, R. (2018). Automation and affect: A study of algorithmic trading. In: B. Röttger-Rössler & J. Slaby (Eds.), Affect in relation: Families, places, technologies (pp. 197–217). New York: Routledge.
  • Slaby, J. und Mühlhoff, R. (2019). Affect. In: J. Slaby und C. von Scheve (Hg.), Affective Societies: Key Concepts (27-41). London: Routledge.
  • Slaby, J., Mühlhoff, R., & Wüschner, P. (2017). Affective arrangements. Emotion Review, Prepublished October 20, 2017. https://doi.org/10.1177/1754073917722214.

Sonstige Quellen

Anderson, B. (2014). Encountering affect: Capacities, apparatuses, conditions. Farnham: Ashgate.

Deleuze, G. (1988). Spinoza: Practical philosophy (R. Hurley, Trans.). San Francisco: City Lights Books. (Original work published in 1981.)

Gregg, M., & Seigworth, G. J. (Eds.). (2010). The affect theory reader. Durham, NC: Duke University Press.

Hemmings, C. (2005). Invoking affect: Cultural theory and the ontological turn. Cultural Studies, 19(5), 548–567.

Palmer, T. (2017). “What feels more than feeling?” Theorizing the unthinkability of black affect. Critical Ethnic Studies, 3(2), 31–56.

Spinoza, B. (1985). Ethics. In: E. Curley (Ed. and Trans.), The collected works of Spinoza (Vol. 1). Princeton: Princeton University Press. (Original work published in 1677.).

Zitierweise

SFB 1171: „Affekt, Affektivität“. In: Affective Societies: Key Concepts Online. Published by SFB 1171 Berlin, 4. November 2022.