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Begriff (Affektive) Resonanz

(Affektive) Resonanz

  • Version 1.0
  • Veröffentlicht 4. November 2022

Affektive Resonanz ist ein Typus relationaler Affektdynamiken, der als wechselseitige Modulation der beteiligten Individuen beschrieben werden kann. Resonanz beruht auf einer dynamischen Wechselwirkung des Affizierens und Affiziertwerdens. Sie kann weder als singulärer Zustand noch als einseitige Übertragung von Affekten, etwa durch Ansteckung, beschrieben werden. In Resonanz verschränken sich aus Sicht des involvierten Individuums aktive und passive Anteile der Affizierung, weshalb in der Summe ein konstituierender Prozess entsteht. Resonanz beruht dabei auf einer Wechselwirkung der affektiven Dispositionen der beteiligten Individuen und kontextuellen Faktoren innerhalb eines affektiven Arrangements. Die Affektfähigkeit eines Individuums kommt in Resonanz zu einer Ausdrucksform, die durch die Affektfähigkeiten der anderen Individuen wesentlich mitgeprägt ist und somit irreduzibel das Gepräge einer gemeinsam hervorgebrachten Affektqualität trägt.

Phänomenologisch und aus der Sicht des involvierten Individuums wird eine Resonanzdynamik primär als intensiv, kraftartig und mitreißend erlebt. Affektive Resonanz ist dabei ein subtiles und ephemeres Phänomen, welches prinzipiell den meisten sozialen Interaktionen, insbesondere in körperlicher Kopräsenz, unterliegt. Elementare Beispiele sind die wechselseitige Modulation von Gesichtsausdrücken und Gesten beim Sprechen, oder der Intonation, Melodie und des Akzents von Sprache. Auch das von Daniel Stern in der Entwicklungspsychologie beschriebene affect attunement gehört zu einem der elementaren Beispiele für affektive Resonanz.

Affektive Resonanz beruht auf einer kausalen Reziprozität des Affizierens und Affiziertwerdens zwischen Individuen. Das impliziert jedoch nicht, dass die Affekte und Emotionen, in denen sich eine Resonanzdynamik entfaltet, zwischen den Beteiligten symmetrisch verteilt wären – wir verstehen Resonanz also nicht als harmonische, gar ethisch konnotierte Form der Weltbeziehung. Vielmehr können sich etwa in einer Kleingruppe auch antagonistische oder spannungsreiche Affekte in Resonanzdynamiken ‚aufschaukeln‘ und für eine Zeit stabilisieren. Das hat entscheidende systematische Konsequenzen, da Resonanz somit zur Analyse und Kritik der affektiven Genese asymmetrischer sozialer Dispositionen z.B. entlang von Gender-Strukturen herangezogen werden kann. Affektive Resonanz ist insgesamt ein ambivalenter Begriff, der sowohl einen Moment ‚freier‘ Entfaltung in Relation zu anderen als auch eine subtile Form der wechselseitigen Beeinflussung abdeckt, die mit dem situativen Ausagieren und der Verkörperung struktureller Machtkonstellationen verwoben ist.

Im SFB wird affektive Resonanz in Bezug auf die affektiven Wirkungen literarischer und journalistischer Sprache, mit Blick auf die komplexen Dynamiken online zirkulierender Bilder und Symbole, im Zusammenhang mit immersiven Dynamiken (Immersion, immersive Macht) affektiver Vereinnahmung sowie als machtförmig verfasstes Modulationsgeschehen einer affektiven Gouvernementalität in modernen Arbeitsumgebungen und anderen institutionellen Settings untersucht (institutionelle Affektivität).

Publikationen aus dem SFB Affective Societies

  • Mühlhoff, R. (2019). Affective Resonance. In: J. Slaby und C. von Scheve (Hg.), Affective Societies: Key Concepts (189-199). London: Routledge.
  • Mühlhoff, R. (2015). Affective resonance and social interaction. Phenomenology and the Cognitive Sciences, 14(4), 1001–1019.
  • Mühlhoff, R. (2018). Immersive Macht: Affekttheorie nach Spinoza und Foucault. Frankfurt: Campus.

Sonstige Quellen

Angerer, M.-L., Bösel, B., & Ott, M. (Eds.). (2014). Timing of affect. Berlin: diaphanes.

Guattari, F. (1995). Chaosmosis. Bloomington: Indiana University Press. (Original work published in 1992.)

Seyfert, R. (2011). Atmosphären – Transmissionen – Interaktionen: Zu einer Theorie sozialer Affekte. Soziale Systeme, 17(1), 73–96.

Stern, D. N. (2000). The interpersonal world of the infant: A view from psychoanalysis and developmental psychology. New York: Basic Books. (Original work published in 1985).

Zitierweise

Rainer Mühlhoff: „(Affektive) Resonanz“. In: Affective Societies: Key Concepts Online. Published by SFB 1171 Berlin, 4. November 2022.