Als institutionelle Affektivität werden im SFB lokale Ausprägungen von Emotionen und Affekten beschrieben, die in institutionellen Umgebungen entstehen, dort ausgestaltet werden und in der Praxis gezielt zum Einsatz kommen, um im Einklang mit den Zielen und Operationsweisen der jeweiligen Institution entsprechende Wirkungen zu entfalten. Zu diesen Wirkungen gehören Einschlüsse und Ausschlüsse von Individuen, Zuweisung von Status und Etablierung von Hierarchien sowie die Habituierung und Subjektivierung institutioneller Akteur:innen und Adressat:innen. Solche teils gezielt produzierten, teils infolge einer spezifischen institutionellen (Interaktions-)Praxis auch unwillkürlich entstehenden Affekte und Affizierungsweisen einer Institution sind im SFB bisher primär anhand dreier analytischer Dimensionen betrachtet worden. Sie artikulieren sich durch institutionelle Akteur:innen, durch die Gestaltung institutioneller Räume und anhand der affektiven Dimension von institutionellen Diskursen und Symbolen.
Das affektive Verhältnis von Akteur:innen zur Institution schlägt sich in affektiven Dispositionen, Gefühlsordnungen und emotionalen Bindungen nieder. Akteur:innen sind dabei einerseits in der Position, durch ihre Praktiken die Institution zu repräsentieren und mit zu formen und stehen andererseits selbst unter dem subjektivierenden Einfluss der Institution. Dieses wechselseitige Verhältnis affektiver Prägung ist ein wichtiger Mechanismus der institutionellen Reproduktion und bildet auch die Grundlage institutioneller Emotionsrepertoires, die mitunter gezielt durch explizite Programme und Trainings ‚fabriziert‘ werden. Institutionelle Affekte, die Akteur:innen betreffen, werden in Form verschiedener Techniken der Einbindung von Personen in institutionelle Perspektiven durch materielle Prozesse (beispielsweise Arbeit) und geteilte übergeordnete Ziele (idée directrice, das Imaginäre) ausgeprägt und habitualisiert. Dies umfasst oft auch eine Disziplinierung der Sinne, die im Einklang mit den Anforderungen der jeweiligen Praxisfelder erfolgt und eine wesentliche Dimension der Verkörperung institutioneller Anforderungen ausmachen kann.
Institutionelle Räume werden durch die jeweiligen affektiven Arrangements konstituiert, die spezifische Affizierungsmodi in institutionellen Umgebungen prägen. Institutionelle Affekte sind nicht Ergebnisse zufälliger Konstellationen, sondern bilden feste Bestandteile institutioneller wie institutionalisierender Politiken. Institutionen bilden auf diese Weise eine Binnenaffektivität aus, die den Übergang zwischen den institutionellen und anderen sozialen Räumen markiert – oft durch markante Intensitätsschwellen. So lässt sich der Zugang zur Institution affektiv regeln und beschränken. Institutionelle Affektivität dient insofern der Grenzziehung zwischen Innen und Außen. So kann z.B. affektive Homogenität Zugehörigkeiten markieren, daraus Ansprüche geltend machen und so den Fortbestand der Institution sichern.
Institutionelle Diskurse operieren mit sprachlichen Setzungen, die geltende Programmatiken ausrufen und Direktiven für ausführende Akteur:innen geben. Institutionelle Leitideen kristallisieren sich mitunter in einer charakteristischen Symbolik, oder in Losungen und Slogans, die Individuen innerhalb eines institutionellen Gefüges affektive Orientierung sowie ein Gefühl der (Nicht-)Zugehörigkeit vermitteln, während sie nach Außen Abgrenzung zu anderen Institutionen und sozialen Kontexten sicherstellen. Institutionelle Diskurse erfahren unterschiedliche Grade der Explikation. Während sie einerseits eine Signalwirkung und einen Wiedererkennungswert entfalten, fungieren sie andererseits als Träger geteilten Wissens über die Funktionsweise und Zielrichtung institutioneller Praktiken.
Somit artikuliert sich institutionelle Affektivität als Mannigfaltigkeit von institutionellen Praktiken, Zielen, Ästhetiken und Dynamiken, die nicht immer widerspruchslos miteinander synchronisiert werden können. Institutionelle Affekte sind deshalb immer spezifisch: sie treten je nach Institution in verschiedenen Formen auf, sind jeweils geprägt von unterschiedlichen Materialien, Medien und Sprachen. Um eine zielgenaue Kritik institutioneller Praxis und institutioneller Statuszuweisungen zu leisten und die Anlässe institutioneller Spannungen und Konflikte nicht zu verfehlen, bedarf es fundierter Einblicke in diese mal subtilen, mal markanten Affektdynamiken von Institutionen (emotionale Reflexivität). Die „vielen Leben“ einer Institution auf der Ebene institutioneller affektiver Dynamiken zu untersuchen, eröffnet die Möglichkeit, die Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit institutioneller Existenz zu verstehen.